Unter einem LinkedIn-Beitrag von @gitta.peyn zur Paradoxie der Empathie ist eine lebhafte Diskussion entstanden. Gemäß Gitta besteht die Paradoxie der Empathie darin, dass ich sie brauche, um zu erkennen, wann ich sie nicht einsetzen darf.
Aus der Persönlichkeitsforschung war mir Empathie bisher als eine Dimension oder Persönlichkeitsfacette mit den Polen zwischen Mitleid und sozialer Rationalität bekannt.
Durch den Kommentar-Austausch zwischen Gitta und Michael Rinke ist mir bewusst geworden, dass auch eine Regulation der empathischen Wahrnehmung erforderlich ist, um sich wirklich auf Augenhöhe begegnen zu können. Ich darf nur das von meinem Gegenüber wissen, was er auch mit mir teilen möchte. Andernfalls handelt es sich um ein ungleiches Machtverhältnis, wie z. B. in Eltern-Kind-Beziehungen oder Beratungskontexten, in denen durch die Empathie eine Steuerungs- bzw. Regulationsfunktion übernommen wird. Doch ohne einen „Auftrag“ hierfür, kann diese Form von Empathie übergriffig sein.
Als Michael Rinke dann noch die Unterscheidung zwischen Empathie und Projektion ins Spiel gebracht hat, kam mir die Idee, die „Spielarten“ der Empathie als Dimensionsraum zu skizzieren mit dem Ziel, den eigenen Handlungsspielraum in Bezug auf Empathie zu reflektieren und mit den Erwartungen/Befürfnissen des anderen abgleichen zu können.
Hierbei sehe ich folgende Dimensionspole mit den jeweiligen Differenzierungsmerkmalen in Klammern:
- Respekt (den anderen sehend) vs. Projektion (sich selbst sehend)
- Mitleid (identifiziert mit den Gefühlen des anderen) vs. Rationalität (abgegrenzt von den Gefühlen des anderen)
- Augenhöhe (freimütig) vs. Machtverhältnis (steuernd)
Gitta hat zusätzlich noch die FORMwelt-Referenzierung am Beispiel des SystemTalk #6 - Perspective Politeness ins Spiel gebracht.
Was bedeutet Empathie für euch? Welche Impulse habt ihr zu dem vorgeschlagenen Dimensionsraum?
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Danke, Melanie.
Ich frage mich schon lange, wie ich Empathie überhaupt fassen will.
Eigentlich bedeutet der Begriff erst einmal so viel wie „sich in jemand anderen hineinversetzen können“.
Das mit dem „Können“ haben wir ja schon geklärt, nun steht für mich die Frage offen, wie viel davon eigentlich mit Sprache, Kultur, Rationalen Fähigkeiten, Rhetorik-Analyse-Fähigkeiten usw. zu tun hat.
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Liebe Gitta, zumindest zeigt die Forschung von Prof. Dr. Tania Singer (wir sprachen darüber), dass Empathie und das daraus entstehende Mitgefühl entwickelt werden können. Sie hat hierzu das Humanize Dyaden Programm entwickelt. Mir ist jedoch nicht bekannt, ob sie auf dieser Basis auch kulturübergreifende Studien durchgeführt hat.
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In dieser Vorlesung von Prof. Dr. André Zimpel werden zum Ende Beispiele gezeigt und erläutert, dass bereits Kleinkinder eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft zeigen. Hierfür ist ja Empathie erforderlich. Besonders stark ausgeprägt ist diese Hilfsbereitschaft bei Kindern mit Trisomie 21. Kinder aus dem autistischen Spektrum gehen zwar weniger in den direkten Kontakt, versuchen jedoch auf andere Weise zu helfen.
Das spricht dafür, dass sich eine Grundform von Empathie (ivielleicht auf K0/K1 ausgedrückt) unabhängig von den von dir beschriebenen Kriterien entwickeln kann. Für eine komplexere Form von Empathie spielen diese Kriterien sicherlich eine Rolle.
https://m.youtube.com/watch?v=XkbjEvkuKvM
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Das machen Kinder bis 4 automatisch, erst mit dem Abschluss der Persönlichkeitsentwicklung, werden wir solche Querköpfe.
Heißt, es gibt keine Voraussetzungen dafür Sozialverhalten im Kleinkindesalter mit Erwachsenen zu vergleichen.
Je nach Sichtweise sind wir erst mit 2 oder mit 4 Jahren funktional voll taugliche Menschen. Es ist eine schwere Geburt und die hört nicht schon nach der Geburt auf.
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Vielen Dank für deine Ergänzung, Uwe.
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Liebe Gitta, ich habe heute noch ein interessantes Paper u.a. von Maja Storch gelesen „Interpersonelle Synchronie: die Dialektik von Empathie und Konflikt“.
Synchronie-ZKM-prepublication.pdf (508,8 KB)
Das passt auch zu meinem anderen Beitrag. Doch da Synchronie hierin als Ausdruck sowie als Ursache von Empathie hergeleitet wird, fand ich ihn hier passender.
Es wird aufgezeigt, dass bei einer mittelhohen Synchronie das beste Interaktionsergebnis erzielt wird. Überhohe Synchronie kann jedoch wieder negative Folgen haben. Im Paper heißt es dazu „Der nichtlineare Zusammenhang bedeutet ein dialektisches Verhältnis, das der Synchronie zukommt: wachsende Synchronie kann mehr Empathie, aber auch mehr Konflikt bedeuten.“
Als Fazit wird gezogen: „Die Eigenschaften wirkungsvoller Therapeuten können damit als ein Interaktionsstil interpretiert werden, der Synchronie in einem optimalen Bereich hält oder sie in diesen Bereich hinein- oder zurückführt.“
Hier sehe ich eine Parallele zu deiner beschriebenen Paradoxie der Empathie. D.h. die Kunst besteht darin, das richtige Maß an Empathie herstellen zu können. Und dieses kann über Synchronie gesteuert werden.
Diese Verhaltenssteuerung durch „Verkörperung“ habe ich heute auch in deinem Beitrag zu C2M wiedererkannt. Darin hast du beschrieben, dass „der Verstandesraum auf höheren Komplexitätsstufen nach und nach mit immer mehr Gefühl vernetzt wird“.
Dieses spricht für mich dafür, dass eine funktional eingesetzte Empathie eine höhere Komplexitätsmanagementstufe sowie ein gutes Embodiment erfordert. Wie siehst du das?
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Es ist alles nicht so einfach, generell etwas als Kunst im Sinne von Meisterschaft zu betreiben, das gilt auch für Wissenschaft und da ist man sich jetzt seiner Grenzen nicht bewusst, wie Gitta die Arbeit von Luhmann fortführen muss.
Ich will da eigentlich niemanden auf die Füße treten, bin aber Freestyler und manchmal nicht zu halten und auszuhalten.
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Wessen oder welche Grenzen meinst du denn, Uwe?
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Die Grenzen seines Wissens die man hat oder setzen muss. Ich muss für eine Studie erst einmal Gegenstände festlegen oder schaffen.
So wegen meines Gemäckels.
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Dieser Zeitschriftenartikel setzt sicherlich viele Studien voraus. Was mich fasziniert, ist die nach meiner Wahrnehmung vermutbare Verknüpfung des Embodiments und des Komplexitätsmanagements. Das wäre natürlich noch genauer zu untersuchen…
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Danke, Melanie. Interessant.
Bislang sind unsere Beobachtungen:
Je höher die relativ stabilen K-Fähigkeiten, desto größer die Empathiefähigkeiten, desto geringer aber ihre Notwendigkeit.
Unter relativ stabilen K4-K5, bzw. in Umfeldern, wo das normal ist, verschwindet die Notwendigkeit für Empathie zunehmend und wird durch Themeninteresse, Sachlichkeit, solche Sachen ersetzt.
Das dürfte damit zusammenhängen, dass interpersonelle, aber auch persönliche Konflikte weniger werden, und Empathie ist ja vor allem da notwendig, wo das Sozialsystem stört (iSv schädigende Wirkung hat) oder psychische Probleme den Weg verstellen.
Passt das hierher?
Herzlich
Gitta
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Vielen Dank, Gitta. Ja, das passt aus meiner Sicht sehr gut. Es klingt für mich so, als wäre mit relativ stabilen K4/K5-Fähigkeiten eine stärkere Regulation der Emotionen möglich (oder gar nicht nötig).
Das erinnert mich an dein Beispiel, dass dein Körper einmal im Notfall-Modus war und dein Verstand ganz klar geblieben ist. In der Polyvagal-Theorie wird dieser Zustand soweit ich weiß als Appeasement bezeichnet.
Das spricht dafür, dass auch die Empathie und die damit verbundenen körperlichen Reaktionen bei höheren K-Fähigkeiten passend zur jeweiligen Situation eingestellt werden können.
Herzliche Sonntagabend-Grüße
Reichen drei Dimensionen?
Sensivität ; Verstehen ; Verantwortung
Wenn @Birthe mitmachen will?
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Die Dimensionen gefallen mir sehr gut, Uwe. Insbesondere die Verantwortung finde ich in Bezug auf die Ausgangsfragestellung „Paradoxie der Empathie“ sehr wichtig.
Ich sehe in diesen 3 Dimensionen auch eine Form von Entwicklung:
Sensitivität: alle Signale werden ungefiltert aufgenommen
Verstehen: die Signale werden eingeordnet
Verantwortung: die Signale werden bewusst gefiltert
Ich dachte an eine echte Dimensionierungsarbeit mit Zoom, wenn Ich ehrlich bin. Warst Du bei C2MMG schon mal dabei, da macht man das beispielhaft.
Bisher war ich noch nicht dabei, klingt aber spannend.
Lies doch mal die Nachricht mit dem Link zu meinem Beitrag.